Handelsvertretung

VERLUST DES STATUS (SOWIE DES AUSGLEICHSANSPRUCHS I.S.V. ART. 134- 12 DES FRANZÖSISCHEN HANDELSGESETZBUCHS) DES HANDELSVERTRETERS MANGELS BEFUGNIS, VERTRÄGE MIT DEN KUNDEN SELBST ZU VERHANDELN

Urteile des Kassationsgerichtshofs vom 09.12.2014, Az. 13-22.476 und 20.01.2015, Az. 13-24.231


Die Urteile der Handelskammer des französischen Kassationsgerichtshofs vom 09.12.2014 und 20.01.2015 haben erneut bestätigt, dass die Vorschriften über die Handelsvertretung nicht auf Dienstleister anwendbar sind, die nicht befugt sind, Verträge mit den Kunden selbst zu verhandeln.

Interessant ist allerdings, dass die Befugnis, Verträge mit den Kunden selbst zu verhandeln, im Ausland (z.B. in Deutschland) nicht vorliegen muss, um einen Dienstleister als Handelsvertreter zu qualifizieren.

Rechtliche Grundlage

Art. L. 134-1 Abs. 1 des französischen Handelsgesetzbuchs sieht vor :

«L’agent commercial est un mandataire qui, à titre de profession indépendante, sans être lié par un contrat de louage de services, est chargé, de façon permanente, de négocier et, éventuellement, de conclure des contrats de vente, d’achat, de location ou de prestation de services, au nom et pour le compte de producteurs, d’industriels, de commerçants ou d’autres agents commerciaux. Il peut être une personne physique ou une personne morale.»

„Handelsvertreter ist, wer als selbständiger Auftragnehmer ständig damit betraut ist, Kauf-, Miet- oder Dienstleistungsverträge im Namen und auf Rechnung eines Herstellers, eines Gewerbetreibenden, eines Händlers oder eines anderen Handelsvertreters zu verhandeln und möglicherweise abzuschließen, ohne dabei an einen Dienstvertrag gebunden zu sein. Der Handelsvertreter kann eine natürliche oder eine juristische Person sein.

Rechtsprechung : Die tatsächliche Befugnis, Verträge mit den Kunden selbst zu verhandeln, stellt ein Tatbestandsmerkmal der Handelsvertretung dar.

• Die Qualifizierung als Handelsvertreter hängt weder von dem im Vertrag erklärten Willen der Parteien noch von deren Bezeichnung des Vertrags, sondern von den tatsächlichen Bedingungen, unter denen die Tätigkeit ausgeübt wird, ab. (Urteil des Kassationsgerichtshofs vom 10.12.2003, Az. 01-11923).

• Ein Händler, der sich vertraglich dazu verpflichtet hat, keinerlei Änderungen, gleich welcher Natur, an den vom Unternehmen festgelegten Preisen und Bedingungen vorzunehmen, kann sich nicht auf das Vorliegen der Handelsvertretung berufen, sofern ihm keinerlei Befugnis eingeräumt ist, Verträge mit den Kunden selbst zu verhandeln (Urteil des Kassationsgerichtshofs vom 15.01.2008, Az. 06-14.698).

• Eine Gesellschaft, die mit dem Ziel bestmögliche Ergebnisse zu erreichen, verschiedene Unternehmer besucht, diese berät und vor Ort Initiativen ergreift sowie verkäuferische Maßnahmen empfiehlt und ausübt, in Abläufe eingreift und gelegentlich Bestellungen entgegennimmt, ist nicht dauerhaft befugt, Verträge mit Kunden selbst zu verhandeln (Urteil des Kassationsgerichtshofs vom 27.04.2011, Az. 10-14.851).

• Eine Gesellschaft, die den Verkauf von Produkten einer anderen Gesellschaft fördert und sich dabei vorbehält, gewisse Bestellungen nicht anzunehmen, Rechnungen auszustellen, entsprechende Zahlungen entgegenzunehmen und besondere Verkaufsbedingungen bei wichtigen Geschäften festzulegen, jedoch weder belegt, dass sie tatsächlich über irgendeinen Verhandlungsspielraum bei zumindest einem Teil des Geschäfts verfügt hat, noch die Möglichkeit hatte, den Geschäftspartner zu verpflichten, kann sich mangels Befugnis, Verträge mit den Kunden selbst zu verhandeln, nicht auf die Vorschriften der Handelsvertretung berufen (Urteil des Kassationsgerichtshofs vom 09.12.2014, Az. 13-22.476).

• Leistungen, die den Gebrauch von Verhandlungsinstrumenten sowie unterstützendes Marketing beinhalten und dazu dienen, sowohl Kundenbeziehungen als auch den Absatz zu fördern, sind für das Vorliegen der erforderlichen Befugnis, Verträge mit den Kunden selbst zu verhandeln, nicht ausreichend. Dies gilt außerdem, wenn der Vertrag vorsieht, dass «Preise und Verkaufsbedingungen durch offizielle Tarife festgelegt (sind) » und « der Handelsvertreter keinerlei Ermäßigungen gewähren (darf), ohne dabei seine Provision zu verlieren ». (Urteil des Kassationsgerichtshofs vom 20.01.2015, Az. 13- 24231).

Praktische Auswirkungen?

Im Falle der Vertragsbeendigung hat der Handelsvertreter Anspruch auf finanziellen Ausgleich zur Wiedergutmachung des erlittenen Schadens (Art. L. 134- 12 Abs. 1 des französischen Handelsgesetzbuchs).

Jedoch ist dieser Ausgleichsanspruch gemäß Art. L. 134-13 des französischen Handelsgesetzbuchs ausgeschlossen, wenn :

  • die V ertragsbeendigung auf ein schwerwiegendes Fehlverhalten des Handelsvertreters zurückzuführen ist ;
  • der Vertrag auf Veranlassung des Handelsvertreters beendet wird, es sei denn, die Beendigung beruht auf Umständen, die dem Handelsvertreter nicht zugerechnet werden können oder aufgrund derer das Fortführen der Tätigkeit unzumutbar ist (Alter, Krankheit,…);
  • der Handelsvertreter gemäß einer Vereinbarung mit dem Unternehmen ein Drittel seiner Rechte und Pflichten aus dem Handelsvertretervertrag an einen Dritten abtritt.

Nach ständiger Rechtsprechung beläuft sich die Höhe des Ausgleichsanspruchs auf die Summe der Bruttoprovisionen der letzten zwei Jahre.

Zu beachten:

Die fehlende Befugnis, Verträge mit den Kunden selbst zu verhandeln, führt nach französischem Recht zum Verlust des Ausgleichsanspruchs.

Und im Ausland? * Gemeinsame rechtliche Grundlage für die Mitgliedstaaten der Europäischen

Union: Die Richtlinie 86/653/EWG

Die Definition des Handelsvertreters in Art. L. 134-1 Abs. 1 des französischen Handelsgesetzbuchs lehnt an Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter an:

« Aux fins de la présente directive, l’agent commercial est celui qui, en tant qu’intermédiaire indépendant, est chargé de façon permanente, soit de négocier la vente ou l’achat de marchandises pour une autre personne, ci- après dénommée «commettant», soit de négocier et de conclure ces opérations au nom et pour le compte du commettant. »

« Handelsvertreter im Sinne dieser Richtlinie ist, wer als selbständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut ist, für eine andere Person (im folgenden Unternehmer genannt) den Verkauf oder Ankauf von Waren zu vermitteln oder diese Geschäfte im Namen und für Rechnung des Unternehmers abzuschließen. »

Durch diese Richtlinie werden die Mitgliedstaaten dazu angehalten, die erforderlichen Maßnahmen dafür zu treffen, dass der Handelsvertreter nach der Beendigung des Vertragsverhältnisses Anspruch auf Ausgleich oder Schadensersatz gemäß den Bedingungen in Art. 17 und 18 hat.

Zu beachten:

Während der Begriff « verhandeln » klar und deutlich in der französischen (de négocier), englischen (to negotiate) und spanischen (de negociar) Sprachfassung erscheint, wird diesem Merkmal in der deutschen (zu vermitteln) und italienischen (di trattare) Sprachfassung weniger Bedeutung beigemessen.

Deutschland als Spezialfall

Die in § 84 Abs.1 des deutschen Handelsgesetzbuchs umgesetzte Definition des Handelsvertreters setzt, wie die deutsche Sprachfassung der Richtlinie 86/653/EWG, nicht die Befugnis des Handelsvertreters, Verträge mit den Kunden selbst zu verhandeln, voraus :

« Handelsvertreter ist, wer als selbständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut ist, für einen anderen Unternehmer (Unternehmer) Geschäfte zu vermitteln oder in dessen Namen abzuschließen. Selbständig ist, wer im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. »

Nach deutschem Recht ist es ausreichend, dass der Handelsvertreter « mitursächlich » für den Vertragsschluss war, indem er diesen « durch Einwirkung auf den Dritten gefördert » hat. Jedoch sind das „bloße Schaffen von Geschäftsbeziehungenoder die „Kontaktpflegesowie die „Kundenbetreuung“ nicht schon ausreichend, um von einer Mitursächlichkeit des Handelsvertreters für den Vertragsschluss auszugehen.

Die Höhe des Ausgleichsanspruchs wird hingegen gemäß § 89b Abs. 1 HGB anhand einer komplizierten Berechnung bestimmt, wenn und soweit:

!Der Unternehmer aus der Geschäftsverbindung mit neuen Kunden, die der Handelsvertreter geworben hat, auch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses erhebliche Vorteile hat und

! die Zahlung eines Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der dem Handelsvertreter aus Geschäften mit diesen Kunden entgehenden Provisionen, der Billigkeit entspricht.

Zu beachten:

Im Gegensatz zum französischen Recht ist die Höhe des deutschen Ausgleichsanspruchs auf eine nach dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre der Tätigkeit des Handelsvertreters berechnete Jahresprovision oder sonstige Jahresvergütung begrenzt (§ 89b Abs. 2 HGB). Dabei handelt es sich nicht um eine Regel zur Berechnung des Ausgleichsanspruchs, sondern um seine gesetzliche Höchstgrenze.

Fazit

In Frankreich:

• Besondere Beachtung kommt dem Vorliegen der tatsächlichen Befugnis des Handelsvertreters, Verträge mit den Kunden selbst zu verhandeln, zu. Vom Vorliegen einer solchen Befugnis ist auszugehen, wenn der Handelsvertreter die Preise oder die besonderen Verkaufsbedingungen mit den Kunden frei verhandeln darf. Ein Handelsvertreter, der nicht oder nicht mehr über diesen tatsächlichen Verhandlungsspielraum verfügt, läuft Gefahr, seinen Handelsvertreterstatus und dadurch insbesondere seinen Ausgleichsanspruch zu verlieren.

• Die Höhe dieses Ausgleichsanspruchs beläuft sich nach ständiger Rechtsprechung auf die Summe der Bruttoprovisionen der letzten zwei Jahre.

In Deutschland:

• Für den Status des Handelsvertreters ist nicht ausschlaggebend, ob dem Handelsvertreter tatsächlich die Befugnis eingeräumt worden ist, Verträge mit den Kunden selbst zu verhandeln.

• Dafür wird der Ausgleichsanspruch anhand strengerer Kriterien berechnet. Außerdem ist die Höhe des Ausgleichsanspruchs auf eine nach dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre der Tätigkeit des Handelsvertreters berechnete Jahresprovision oder sonstige Jahresvergütung begrenzt.

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