Rezension zu dem Sachbuch: « Pandemiemanagement auf dem Prüfstand – 2G » von Prof. Dr. Günter Kampf

Das vorliegende Sachbuch mit dem Titel „2G“ ist als erster Band der Reihe „Pandemiemanagement auf dem Prüfstand“ am 27. Februar 2023 erschienen. Der Autor heißt Günter Kampf und ist selbständiger Facharzt für Hygiene und Umweltmedizin in Hamburg sowie außerplanmäßiger Professor für Hygiene und Umweltmedizin an der Universität Greifswald. 

Sämtliche drei Bände der Reihe „Pandemiemanagement auf dem Prüfstand“ wurden von Herrn Kampf während der COVID-19-Pandemie für einen nicht notwendigerweise medizinisch gebildeten Leserkreis verfasst.

Das vorliegende Sachbuch ist der kritischen Bewertung des Pandemiemanagements im Hinblick auf die in Deutschland zeitweise geltende sogenannte „2G-Regelung“ gewidmet.  Der zweite Band behandelt die „Maskenpflicht“ und der dritte Band die „Impfpflicht“. 

Die Abkürzung „2G“ ist während der COVID-19-Pandemie zu einem politischen Schlagwort geworden und bedeutet, dass zu bestimmten Einrichtungen mit Publikumsverkehr, die durch ein besonders hohes Infektionsrisiko gekennzeichnet sind, nur die sog. „Genesenen“ und die sog. „Geimpften“ Zugang haben sollen. Der Autor spricht deshalb auch von sog. „2G-Veranstaltungen“ (S. 44) sowie allgemein von der „2G-Phase“ (S. 44), der „2G-Gesellschaft“ (S. 45) und der „2G-Zeit“ (S. 46). 

Das vorliegende Sachbuch ist mit insgesamt 9 (inhaltlichen) Kapiteln, 122 Bibliographie-Referenzen und 20 Abbildungen etwas kompakter und kürzer (88 Seiten) als die später erschienenen Bände 2 und 3 mit jeweils ca. 190 Seiten. Die Darstellung ist (wie bei den Folgebänden auch) sehr faktenorientiert und erlaubt auch dem nicht in dieser Materie erfahrenen Leser, sich in kürzester Zeit einen umfassenden und sehr guten Überblick über die 2G-Thematik zu verschaffen.

Der Autor ist ein Meister der sprachlichen Klarheit und pädagogischen Methodik. Die teilweise sehr komplexen medizinisch-wissenschaftlichen Zusammenhänge werden stets in einer für den Laien eingängigen und bestens verständlichen Sprache erläutert. 

Beeindruckend ist insbesondere, dass der Autor als Mediziner und Nicht-Jurist einen beträchtlichen Teil seiner Ausführungen der rechtlichen sowie insbesondere verfassungsrechtlichen Bewertung der 2G-Entscheidung widmet.

Insgesamt lassen sich die 9 Kapitel grob in drei Teile aufgliedern. In einem „ersten“ Teil (Kapitel 1-3) geht der Autor vor allem auf die erste 2G-Entscheidung in Hamburg ein, stellt die Entwicklungen der SARS-CoV-2-Varianten dar und referiert die im damaligen politischen und wissenschaftlichen Diskurs vorgebrachten Begründungen für 2G. 

Der „zweite“ Teil (Kapitel 4-7) ist der Frage gewidmet, ob und inwieweit die von der Politik formulierten Ziele, die mit der 2G-Entscheidung angeblich verfolgt werden sollten, auch tatsächlich erreicht worden sind. 

In einem „dritten“ Teil (Kapitel 8 und 9) wirft der Autor dann die verfassungsrechtliche Frage der Verhältnismäßigkeit der 2G-Regelung im Hinblick auf die betroffenen Grundrechte auf und stellt abschließend einige allgemeine, soziologisch höchst interessante Überlegungen und Denkanstöße zum Thema „Gesellschaft unter 2G“ an. 

Die wesentlichen Aussagen und Schlussfolgerungen des Autors lassen sich wie folgt zusammenfassen und kommentieren:

  • Kapitel 1: Es begann in Hamburg

Der Autor beschreibt die Entwicklung der 2G-Entscheidung in der Freien und Hansestadt Hamburg im Zeitraum zwischen dem 4. Dezember 2021 und dem 4. März 2022 und fasst die Auswirkungen auf das gesellschaftliche Leben wie folgt zutreffend zusammen: „Die Folge dieses Beschlusses war einerseits die Ausgrenzung aller Ungeimpften ohne vorherige COVID-19-Infektion aus großen Teilen des öffentlichen Lebens. Doch auch Geimpfte und Genesene konnten während dieser Zeit ausgegrenzt sein, wenn die Gültigkeit ihrer Impfung (nach neun Monaten) oder ihres Genesenennachweises (nach sechs Monaten; ab dem 15. Januar 2022 bereits nach drei Monaten) abgelaufen war.“ (S. 9). 

Der Autor weist dabei zurecht darauf hin, dass man im Zusammenhang mit der 2G-Regel damals auch folgerichtig von einem „Lockdown für Ungeimpfte“ (S. 10) sprach. 

  • Kapitel 2: Entwicklungen im Zeitraum um 2G

Der Autor geht u.a. auf die Unterschiede bei der Impfwirkung nach Altersgruppen ein und kann dabei mit Verweis auf wissenschaftliche Studien nachweisen, dass bei Erwachsenen im Alter ab 60 Jahren sogar eine „negative Impfwirkung“ in der Fachliteratur beschrieben wird. (S. 14, Abb. 2).

  • Kapitel 3: Begründungen für 2G

Bei den Begründungen für 2G, die der Autor analysiert, ist vor allem die von dem Ersten Bürgermeister Hamburgs Peter Tschentscher am 16. November 2021 öffentlich erfolgte Äußerung „Neuinfektionen zu 91,5 % bei Ungeimpften“ von besonderem Interesse. Wie der Autor im Einzelnen ausführt, war dieser Prozentsatz (91,5 %) völlig unzutreffend, da man bei der Auswertung der Zahlen damals einfach alle Personen, bei denen der Impfstatus unbekannt war (63,2 % der Fälle) den Ungeimpften zugerechnet hatte. In Wirklichkeit betrug der tatsächliche Prozentsatz nämlich nur 22,5 %. Der Erste Bürgermeister von Hamburg, der nach Angaben des Autors als Labormediziner tätig ist, hat am 11. Januar 2022 schließlich eingeräumt, dass diese Zahlen „grob falsch“ gewesen seien. 

Insgesamt kommt der Autor zu dem überaus nachvollziehbaren Schluss, dass eine solche Aussage eines Berufsexperten bei absolut einfacher Datenlage einfach als „unfassbar“ anzusehen ist (S. 20).

  • Kapitel 4: Ziel: COVID-19-Fallzahlen senken

Bei der Frage, ob durch die 2G-Regel die Infektionsdynamik gebrochen und die COVID-19-Fallzahlen gesenkt werden konnten, bezieht sich der Autor im Wesentlichen auf das für Großbritannien (im Gegensatz zu Deutschland) vorhandene Zahlenmaterial und kommt auf dieser Grundlage zu dem Ergebnis, dass es wenig glaubhaft ist anzunehmen, dass die Ungeimpften ein „deutlich höheres Ansteckungsrisiko für andere aufweisen“, wie es jedoch von der Bundesregierung proklamiert wurde (S. 30).

  • Kapitel 5: Ziel: Übertragungen verhindern

Der Autor untersucht die Frage, ob und inwieweit die 2G-Regel geeignet war, Übertragungen zu verhindern und dadurch die Ansteckungswahrscheinlichkeit zu senken. Er führt dabei minutiös zahlreiche Fälle auf, in denen es auch unter Geimpften und Genesenen zu Ausbrüchen kam und somit auch der sog. „grundimmunisierte Patient“ Quelle für weitere Übertragungen sein konnte (S. 38). 

Obwohl auf wissenschaftlich gesicherten Grundlagen nach den Ausführungen des Autors bereits im Januar 2021 Klarheit darüber bestand, dass auch Geimpfte ohne Symptome eine Quelle für Übertragungen sein konnten, wurde von führenden Politikern bis weit in den Sommer 2021 das Gegenteil behauptet. Der Autor zitiert in diesem Zusammenhang sowohl Markus Söder mit seiner Äußerung vom August 2021 „Wer geimpft ist, stellt keine Gefahr dar“ als auch den Schweizer Bundesrat Alain Berset, der kurze Zeit später sich wie folgt äußerte: „Mit dem Zertifikat kann man zeigen, dass man nicht ansteckend ist“.    

Abschließend weist der Autor in eindrucksvoller Deutlichkeit darauf hin, dass gerade infolge der 2G-Regel Geimpfte sich in ausgewählten öffentlichen Bereichen – ohne tagesaktuelle Testpflicht – durch ihr Sozialverhalten gewissermaßen „präpandemisch“ (S. 45) verhalten konnten mit der Folge, dass es in Bars, Clubs, in Chorproben/Chorkonzerten, bei Weihnachtsfeiern sowie im Pflegeheim – trotz Geltung der 2G-Regel – zu signifikanten Neuinfektionen kommen konnte (S. 42-44). Der Autor kommt deshalb zu folgender absolut nachvollziehbarer Schlussfolgerung: „Deshalb halte ich es sogar für wahrscheinlich, dass 2G die Anzahl von SARS-CoV-2-Übertragungen im öffentlichen Raum deutlich erhöht hat“ (S. 45).

  • Kapitel 6: Ziel: Anzahl schwerer Verläufe reduzieren

Im Hinblick auf das Ziel, durch die 2G-Regel zumindest die Anzahl schwerer Verläufe, d.h. hospitalisierter oder intensivmedizinisch versorgter Patienten zu reduzieren, kommt der Autor zu dem Ergebnis, dass kein klarer Trend beobachtbar sei, wonach während der Anwendung der 2G-Regel der Anteil der Ungeimpften an allen COVID-Patienten mit intensiv-medizinischer Versorgung rückläufig war. Er schlussfolgert daher völlig zurecht, dass durch 2G auch insoweit kein nennenswerter zusätzlicher Schutz für Ungeimpfte zu erkennen war (S. 52). 

  • 7. Kapitel: Ziel: Druck auf Ungeimpfte erhöhen

Der Autor geht schließlich noch auf das von manchen Politikern (z.B. Peter Tschentscher als Erster Bürgermeister von Hamburg sowie Alena Buyx als Vorsitzende des deutschen Ethikrats) behauptete Ziel ein, die 2G-Regel solle vor allem Druck auf Ungeimpfte erhöhen (S. 53). Dies sei nach Ansicht des Autors möglicherweise das einzige Ziel, das einigermaßen durch die 2G-Regel gefördert worden sei. 

Allerdings stellt der Autor dabei auch klar, dass letztlich ungeklärt bleibt, ob die 2G-Kontaktbeschränkungen tatsächlich dazu geführt haben, dass sich mehr Menschen in Deutschland gegen COVID-19 haben impfen lassen (S. 54).

  • 8. Kapitel: War 2G verhältnismäßig?

Eines der interessantesten und sicher wichtigsten Kapitel in dem Sachbuch ist das 8. Kapitel, das der Frage der verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeit der 2G-Regel gewidmet ist. Der Autor prüft in Anwendung der anerkannten verfassungsrechtlichen Dogmatik, ob und inwieweit die 2G-Regel im Hinblick auf einen Eingriff in die betroffenen Grundrechte (z.B. allgemeine Handlungsfreiheit, Berufsfreiheit, Grundrecht auf freie Regionsausübung) geeignet, erforderlich und angemessen gewesen ist. 

Auf der Grundlage der in den Kapiteln 1-7 unter Beweis gestellten Ausführungen stellt der Autor zunächst fest, dass die selbstgesteckten Ziele der Bundesregierung („die Infektionszunahme brechen“) sowie der Leopoldina („den exponentiellen Anstieg der Neuinfektionen in der 4. Welle beenden“) verfehlt worden sind und die 2G-Regel deshalb sich als ungeeignet erwies, diese oder ähnliche Ziele zu erreichen (S. 59). 

Im Hinblick auf die Erforderlichkeit der 2G-Regel (S. 61-66) kommt der Autor zu dem Ergebnis, dass eine solche nicht zu erkennen sei, da die 2G-Regel bereits völlig ungeeignet war, das Infektionsgeschehen einzudämmen. Die Dominanz der Omikron-Variante und die hohe Impfquote ließen trotz sehr hoher Fallzahlen keine Überlastung des Gesundheitssystems erwarten, was durch die Erfahrungen aus Großbritannien und Dänemark bestätigt wurde (S. 66). 

Bei der Frage der Angemessenheit / Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (S. 66-68) der 2G-Regel stellt der Autor mehrere bahnbrechende Entscheidungen (z.B. das Urteil des OVG Lüneburg vom 18. Dezember 2021 zum Einzelhandel sowie das Urteil des OVG Lüneburg vom 25. Januar 2022 zur Ausübung von Sport/Golf unter freiem Himmels) vor und fasst die Erkenntnisse hieraus wie folgt zusammen: „Da die 2G-Kontaktbeschränkungen ihr Ziel nicht erreicht haben und es mildere Mittel gab, die das erklärte Ziel vermutlich sogar besser erreicht hätten, war nach meiner Einschätzung die Verhältnismäßigkeit von 2G von Beginn an nicht gegeben“. (S. 68)

  • Kapitel 9: Die Gesellschaft unter 2G

In diesem abschließenden Kapitel stellt der Autor zunächst öffentliche Aussagen gegenüber, die entweder in der 2G-Regel überhaupt keinen Fall einer Diskriminierung oder einer Ungerechtigkeit sehen oder ganz im Gegenteil die 2G-Regel stark kritisieren, da sie das gesellschaftliche Klima vergiften würde und eine gezielte Ausgrenzung von Staatsbürgern zum Gegenstand habe (S. 70). 

Interessant sind auch die Ausführungen des Autors zu einer US-amerikanische Studie, aus der sich ergibt, dass die Haltung der Geimpften zu den Ungeimpften statistisch gesehen eine signifikant stärkere diskriminierende Haltung zum Ausdruck bringt als umgekehrt die Haltung der Ungeimpften zu Geimpften (S. 72). 

Nachdenklich stimmen muss der berechtigte Hinweis des Autors auf die Überarbeitung der internationalen Gesundheitsvorschriften der WHO, in dessen Neu-Entwurf (im Gegensatz zu der bisherigen aus dem Jahre 2005 stammenden Fassung) die Ziele „voller Respekt für die Bürger, Menschenrechte und Grundfreiheiten der Menschen“ gestrichen worden sind (S. 73).

Das Sachbuch schließt im Rahmen eines Ausblicks mit einem längeren Zitat von Eric Gujer, dem Chefredakteur der Neuen Züricher Zeitung, der am 23. Dezember 2022 sich folgendermaßen zur Corona-Bilanz in Deutschland äußerte: „ (…) Zu Recht wird beklagt, dass Querdenker eine extreme und mitunter extremistische Form der Realitätsverweigerung praktizieren. Aber alle Politiker bis hin zum Kanzler, die einen Impfzwang forderten, vertraten eine nicht minder extreme Position. Der Extremismus der Mitte ist gefährlicher als der Extremismus der Ränder, weil nur die Mitte die Macht hat, Ihre Stimmungen in Gesetze zu gießen. Das sollten die Deutschen nicht vergessen.“

Prof. Dr. Jochen Bauerreis

Strasbourg/Kehl am Rhein, den 15.01.2024


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